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Deacon Blues oder: Die Kunst, glücklich zu sein
“Hey world, come here, I wanna talk to ya.”
(Arthur Bremer)
Mit Texten von Fjodor Dostojewskij, Arthur Schopenhauer und Ror Wolf
Stimmungen und Bildungen im Raum verdichten sich zu Stimmen und Bildern im Kopf; kaleidoskopartig fügen sie sich zu Szenen eines inneren Kampfes. In der rotierenden Hirnkammer wird verzweifelt Glück trainiert und um Sinn und Halt gerungen. Hoffnungen und Illusionen werden zerschlagen, Nerven und Gefühle auf die Folter gespannt und Rachegedanken und Zerstörungsphantasien geschmiedet. Im geschlossenen Raum baut sich kontinuierlich der Druck auf, bis es vielleicht zum Ausbruch kommt. “Denken wir uns Naturen, denen, aus irgendeinem Grund, die öffentliche Zustimmung fehlt, die wissen, dass sie nicht als wohltätig, als nützlich empfunden werden […], sondern als ausgestossen, unwürdig, verunreinigend.” (Nietzsche)
Gesang Bettina Tuor
Schauspiel Dagny Gioulami, Matthias Flückiger
Gitarre, Elektronik Michael Bucher
Kontrabass Herbert Kramis
Schlagzeug Marius Peyer
Konzept, Komposition Thomas Fischer
Regie, Kostüme Julia Maria Morf
Bühne, Licht Michael Gruber
Tonkonzept, Ton Philipp Zumbrunnen
Mithilfe Ton Christoph Binder
Bauten, Requisiten Marius Vontobel
Zürich Blauer Saal März/April 2005
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Deacon Blues oder: Die Kunst, glücklich zu sein
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Deacon Blues oder: Die Kunst, glücklich zu sein
Listen you fuckers
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Deacon Blues oder: Die Kunst, glücklich zu sein
Deacon Blues
Jazz 'N' More, 01.04.2005
Nach “Remix Kafka” präsentierte die freie Gruppe pulp.noir mit “Deacon Blues” ihr zweites Projekt an der Schnittstelle von Theater, Musik und Improvisation. Für sechs Vorstellungen im Blauen Saal des Züricher Löwenbräuareals hat die innovative Company um die Regisseurin Julia Maria Morf eine faszinierende Collage von Text, Schauspiel und Musik inszeniert, mit der hehren Intention, nach neuen Formen der Bühnenarbeit zu suchen. Dieses ambitionierte Vorhaben ist weitgehend geglückt, dies nicht zuletzt dank der künstlerischen Qualitäten der beteiligten Darsteller und Musiker. Die mit den erstklassigen Jazzmusikern Michael Bucher (git/elec), Herbert Kramis (b), Marius Peyer (dr) und Bettina Tuor (voc) besetzte Band untermalt gekonnt die dicht rezitierten Texte und Sprachfetzen der beiden Schauspieler Dagny Gioulami und Matthias Flückiger. Der nicht immer leicht zu folgenden Handlung verleiht die Musik dabei einen idealen Kontrast in Form einer wunderbar schwebenden Schwerelosigkeit.
Marcel Benedikt
Warnfarben
Tages Anzeiger, 30.03.2005
Im Blauen Saal macht sicht pulp.noir an der Schnittstelle zwischen Theater und Musik auf die Suche nach dem Glück.
Vorsicht: schön aber gefährlich. So warnen die schlanken Körper von Bienen und Wespen. Das Schwarz, das sich auf dem Insektenrumpf mit dem Gelb mischt, signalisiert möglichen Feinden, dass der Stachel locker sitzt und die friedliche Nektarsuche jederzeit in Aggression umschlagen kann. Symmetrisch angeordnetes Schwarz und Gelb überzieht auch Michael Grubers Bühnenboden. “Deacon Blues”, nach “Remix Kafka” das zweite Musiktheaterprojekt der freien Gruppe pulp.noir, spielt mit der latenten Bedrohungssituation.
Die zu Beginn des Abends zur Schau gestellte Gelassenheit trügt. Unter den glitzernden Kleidern, den somnambul fliessenden Bewegungen und den entspannten Gesichtszügen sitzt die Angst vor dem Versagen und eng damit verbunden Wut und Aggression. Das konzentriert agierende Ensemble um Thomas Fischer (Komposition) und die Regisseurin Julia Morf hat formal zu einer überzeugenden Theatersprache gefunden. Die Musiker Herbert Kramis (Kontrabass), Marius Peyer am Schlagzeug und Michael Bucher, der für die Gitarre und elektronische Effekte verantwortlich ist, schaffen in spielerischer Symbiose mit der Sängerin Bettina Tuor und den rezitierenden Dagny Gioulami und Matthias Flückiger präzise überblendungen von Ton und Wort.
Was an diesem gut zweistündigen Abend nicht sitzt, ist einerseits die Dramaturgie – die Produktion kippt aus einer an sich gelungenen, aber viel zu breit ausgewalzten Ambivalenz schlecht motiviert in drastische Bildlichkeit. Unbefriedigend ist auch der Inhalt. Zitiert werden unter anderem Schopenhauer, Dostojewski, Miles Davis und Stefan Zweig. Das mag beim ersten hinhören beeindrucken, ist aber in dieser geballten und zerstückelten Form gefährlich belanglos.
Charlotte Staehelin
Glück in Stücken
ZüriTipp, 24.03.2005
Eklektischer Jazz und existentielles Jammern: Das Theaterstück “Deacon Blues” fordert Gehirn und Gehör gleichermassen heraus.
“Warum heiratet ihr zwei nicht?” Die Frage vibrierte leichtsinnig in der sprühwarmen Luft der französischen Hauptstadt. Gestellt hatte sie der kettenrauchende Phänomenologe Jean-Paul Sartre, gerichtet war sie an den egomanischen Trompeter und dessen damalige Flamme Juliette. Doch Davis wollte nicht darauf eingehen: “Ich entschied mich anders. Ich blieb ein oder zwei Wochen, verliebte mich in Juliette und Paris – und dann ging ich wieder.” Eine beiläufige Passage aus der dicken Autobiografie des Jazzers, die jedoch nachhallt. Zum Beispiel im Musiktheaterstück “Deacon Blues”, das die Formation pulp.noir im Zürcher Westend zur Aufführung bringen wird. Dort treffen sich nämlich Sartre und Davis erneut, fragmentiert und buchstäblich, als Zitatelieferanten zu einer Musik-Textcollage. Allerdings handelt es sich dabei eher um eine Begegnung am Rande. Im Zentrum stehen eigentlich Texte von Dostojewski, Schopenhauer und Ror Wolf.
Aus diesen seltsamen Fragmenten heraus entwickeln die Regisseurin Julia Morf und der Komponist Thomas Fischer von pulp.noir ihr ambitiöses Werk, das den Untertitel “Die Kunst, glücklich zu sein” trägt. Analog zu ihrem letzten Projekt “Remix Kafka” (2004) setzen sie erneut auf den fruchtbaren Zusammenprall von Textmontagen und improvisierter Musik. Sie skizzieren ein negativ strukturiertes , düster ausgeleuchtetes Bild des Lebens als dramaturgisches Relief, dessen Kanten von sperrigen Klängen gebrochen werden. Es geht nicht darum, einfache Antworten zu geben, sondern zentnerschwere Styroporblöcke in den Raum zu stellen. Und eine Atmosphäre aufzubauen, in der sich eklektischer Jazz und existentielles Jammern zu einer artistischen Gesamtheit ergänzen.
Philippe Amrein