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Signal to Noise – über Information und Wissen
Eine Theatersimulation von pulp.noirZwar wissen wir bereits seit 1984, dass Big Brother mithört, doch seit Facebook sind wir auch noch durchsichtig geworden. Dafür führen wir jetzt ein Leben 2.0, wo der Unterschied zwischen real und virtuell bald keine Rolle mehr spielt, und rasend kommen weitere Gewissheiten ins Wanken. – Zumindest in der szenischen Anlage setzt sich das Projekt schon mal damit auseinander, indem die live Performer den Raum mit ihren virtuellen Doppelgängern bevölkern und ihr elektronisch angestautes Wissen zu einem bizarr-surrealen Gedankenstrom verlinken.
Performance/Musik Joana Aderi, Ralph Tristan Engelmann, Marius Peyer, Tobias Reber, Christian Rösli
Installation/Video Julia Maria Morf
Sounddesign/Mix Thomas Winkler
Konzept/Realisation Thomas FischerGrafik Roland Hausheer
PR/Werbung Nani Khakshouri
Videoassistenz Kaspar Rechsteiner
Lichttechnik / Bauten Stefan MartiKoproduktion Fabriktheater Rote Fabrik Zürich
Zürich, Fabriktheater, 17. – 25. Januar 2014
Bern, Tojo Theater, 9. – 12. April 2014
Zürich, Zürcher Restspiele, 30. – 31. Mai 2014
Basel, Roxy, 4. – 6. Dezember 2014Unterstützt von
Stadt Zürich Kultur, Fachstelle Kultur Kanton Zürich, Ernst Göhner Stiftung, Familien-Vontobel-Stiftung, Migros Kulturprozent, Kultur Stadt Bern, Kultur Kanton Bern, Schweizerische Interpretenstiftung, Förderverein pulp.noir -
Signal to Noise – über Information und Wissen
Eine Theatersimulation von pulp.noir -
Trailer
Signal to Noise – Teil 1
Signal to Noise Teil 2
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Signal to Noise – über Information und Wissen
Eine Theatersimulation von pulp.noirBizarrer Rausch
Züritipp, 16.01.2014pulp.noir lassen mit Bild, Text und Ton einen surrealen Gedankenstrom entstehen.
PERFORMANCE Es ist laut, leise, wieder laut. Holografische von Femme Fatales, Space Shuttles oder Atompilzen flacken auf im Dunkeln. Sie wechseln sich ab mit den virtuellen Doppelgängern der Performer von pulp.noir, die im Hintergrund singen, sprechen, Instrumente spielen. Dieser Schwall aus Bildern und Sound vermischt sich zu einem rätselhaften Etwas, das sich anfühlt wie ein Traum, aus dem man atemlos aufwacht.
„Signal to Noise“ ist eine sinnverwirrende Theatersimutation zum themenkomplex Wissen und Information, sagt Thomas Fischer. Julia Morf – sie und Fischer haben pulp.noir gegründet – ergänzt: „Es ist eine Collage aus tausend Einzelteilen, inspiriert von Technik, Popkultur und Klischees. “Burkaträgerinnen kommen ebeso vor wie Julian Assange, Bodyscans vom Flughafen und Jäger der Uhrzeit. Das Stück besteht aus sieben Kapiteln, folgt keiner Logik, aber überwältigt trotzdem: Der Zuschauer muss Bilder mit Sound ergänzen, Sprachfetzen mit Geräuschen verbinden, bis sie sich zu einem für ihn sinnvollen Gedankenstrom verbinden.. Falls es im einen Kapitel nicht gelingt, klappt es vielleicht im nächsten. „Try again“ ermutigt der Schriftzug über der Bühne.
Seit 2004 sprengen pulp.noir mit performativ-assoziativen arbeiten den Rahmen des üblichen Theaters. In „Signal to Noise“ verwandeln sie in bizarre Kunst, was den Alltag manchmal auf bizarre Weise prägt: die nie abreissende Flut von Informationen. Sie machen daraus ein rauschhaftes Abenteuer.Denise Bucher
Ein süffiger Flug durch die 1990er
Neue Zürcher Zeitung, 20.01.2014„Signal to Noise“ von pulp.noir
bai. „Ihr seid so 1990er!“, will man der Soulsängerin und den vier Jungs im Fabriktheater zurufen, revidiert aber sogleich „Ihr seid so 1980er!“ und resümiert: „Ihr seid so retro!“ Die Zürcher Gruppe pulp.noir gäbe mit ihrer Multimedia-Performance „Signal to Noise“ auch eine Vorband von Kraftwerk ab – süffig ist der Elektro frisch ab Synthesizer. Als wollten pulp.noir den Retro-Effekt (und nicht den visuellen) verstärken, erhalten alle eine 3-D-Brille, Modell 1970er jahre. Bisweilen wähnt man sich an einem Happening im Zürich der 1990er. Aus dieser Zeit stammt auch der Satz Bill Clintons zur Lewinsky-Affäre: „I did not have any sexual relations with that woman.“ Jetzt klingt er als Sample aus dem Off. Schon damals waren persönliche Informationen nicht sicher; jene von Monika Lewinsky wurden ohne ihr Wissen aufgezeichnet.
Die Situation hat sich verschäft: Heute hat fast jeder einen Internet-Doppelgänger. Geben wir unseren Namen bei Google ein, erscheinen über uns gesammelte Daten. „Leben 2.0“ nennt das pulp.noir und testet den Ernstfall, indem sie die virtuellen Klone der Live-Performer via Video einspielt – seien es jene der Soulsängerin, ders Moderators, jene der Männer am Synthesizer, an den Soundeffects oder den Drums. Das elektronisch angehäft Wissen dieser Doppelgänger wird als surrealer Gedankenstrom audiovisuell umgesetzt, erfasst wurde es etwas an Flughäfen. Wir befinden uns denn auch auf einem Flug, veir mal starten wir neu: „Try Again“ leuchtet auf – alle Versuche sind gespeichert, die Delete-Taste nütz da nichts.
Die Produktion wirkt ambitioniert wie stets bei der 2004 gegründeten Truppe: Sie nimmt sich den gläsernen Menschen im virtuellen raum vor. Anspielungen hierauf mit Röntgenbildern oder Guy-Fawkes-Masken – dem Symbol des Internet-Kollektivs Anonymous – gehören zum wenigen, was an diesem Science-Fiction-artigen Kunstwerk an die Gegenwart erinnert. Die Kulturgeschichte der Aufzeichnung wird im Schnelldurchlauf eingeblendet: Auf die Entdeckung der Schrift folgen Fotografie, Film, Tonaufnahmen, schliesslich die Aufforderung „Enter Password“ – auch dies ist obsolet geworden. Das Thema Datensicherheit wird jedoch nicht vertieft. So entsteht der Eindruck, dass pulp.noir mit dieser rückwärtsgewandten Inszenierung Realitätsverweigerung betreiben, statt sich zur NSA-Affäre zu positionieren. Vielleicht aber zeigt gerade diese absurde Fixiertheit auf das Vergangene, dass Daten noch nie sicher waren. Wie dem auch sei, am Ende drücker wir, wie beim Kassettenrecorder, gerne „Rewind“ und „Play“ statt „Stop/Eject“.Mit pulp.noir unterwegs in die Zukunft von gestern
Tages Anzeiger, 20.01.2014Zürich, Fabriktheater – „Try Again“, so lauten Motto und Refrain dieses Abends, an dem wir im übertragenen Sinne den DeLorean besteigen, die vierrädrige Zeitmaschine aus dem Film „Back tot he Future“, mit der man die Zukunft von gestern erkunden kann. In die Vergangenheit gereist wird mit pulp.noir, einem Kollektiv zwischen Theater und neuer Musik. Die Zeitmaschine dieses Kollektivs ist die Theaterbühne, die sich mit der Elektromusik und den Videos auf den frei schwebenden Screens in einen „riesigen Signalprozessor“ verwandeln soll. Das ist nicht zu viel versprochen: In den neunzig Minuten von „Signal to Noise“ sehen wir auf der Bühne eine Sound- und Videocollage, die uns mit ihrer technischen Perfektion für sich einnimmt.
Konkret wird diese Collage nur ganz selten, wenn etwa die Parole „Reclaim the Streets“ auf die erlahmtem Proteste gegen die Globalisierung verweist. Ansonsten bleibt vieles diffus – vielleicht ebenso diffus wie die Ängste und die Glücksversprechen, die wir mit den neuen Technologien verbinden. In den 80er Jahren waren es der Videorekorder und die Polaroid-Kamera, die für einen technologische Zukunft standen, die es heute schon längst nicht mehr gibt. Heute ist es das Internet, das uns mit seiner Informationsfreiheit beglückt – und zugleich die Angst vor der totalen Überwachung erneuert. Vielleicht ist diese Angst bald von gestern. Vielleicht verhalten wir uns ja wie jener „Hologramm-Mann“, der in „Signal to Noise“ auf einem Screen eine Rede hält und sich dabei in einen Todeskandidaten verwandelt, mit dem Kopf in der Schlinge – während er gerade noch mit einem „Fuck you all!“ seine Meinungsfreiheit auslebt.Andreas Tobler
Das Virtuelle in der Vergangenheit
kulturkritik.ch, 11.04.2014Wir haben nicht nur ein Leben. Wir haben zwei, vielleicht auch drei, vier. Denn neben der so genannten realen Welt, bewegen wir uns gleichzeitig in virtuellen Parallel-Universen, in denen wir neue Identitäten erschaffen. Dabei verschwindet die Grenze zwischen der analogen und der digitalen Sphäre mehr und mehr – so die Aussage des Künstlerkollektivs pulp.noir.
Darsteller und ihre Doppelgänger
Diese Mehrschichtigkeit unseres Alltags passt perfekt zum Interesse der mehrfach prämierte Schweizer Gruppe: Seit ihrer Gründung vor zehn Jahren beschäftigt sie sich mit den «Absurditäten des Lebens» und bewegt sich dabei mühelos zwischen Musik, Theater und multimedialer Kunst. In einer Koproduktion mit dem Fabriktheater Rote Fabrik Zürich entstand dieses Jahr das Programm «Signal to Noise», das sich keiner Sparte definitiv zuordnen will und deshalb als «Theatersimulation» betitelt wird. Musiker und Schauspieler nehmen gleich viel Platz auf der Bühne ein und bewegen sich auf ihr mit der selben Präsenz. Noch mehr Aufmerksamkeit als die realen Darsteller aber ziehen ihre virtuellen Doppelgänger auf sich: Auf halbtransparenten Leinwänden, erscheinen sie in Übergrösse und mit 3D-Brillen plastisch wahrnehmbar. Sie wechseln laufend ihr Aussehen, verwandeln sich in Affen oder Leichen, tragen dabei aber fast immer eine kleine Maske, die ihre Verkleidung in Erinnerung ruft. Gesteuert von den analogen Menschen auf der Bühne stellen die projizierten Figuren die eigentlichen Hauptpersonen des Abends dar. Die einzige Gestalt, die nicht auf den Leinwänden vervielfacht wird, ist das Skelett, das während des ganzen Abends still von der Decke des Theaters hängt.Die Zukunft der Vergangenheit
Die Performance lebt von der Collage scheinbar unzusammenhängender Sequenzen, die fliessend ineinander über gehen. Wie beim online Surfen bleibt der Fokus nie lange an einer Stelle; bald wird eine neue Geschichte angeschnitten, bald zieht ein weiteres Bild unsere Aufmerksamkeit auf sich. Während diese Spiegelung des Alltags langweilen könnte, schafft es pulp.noir mit einem gekonnten Dreh, eine humorvolle und spannende Perspektive auf das virtuelle Dasein zu eröffnen – die Perspektive der 1980er Jahre. Angelehnt an Orwells dystopische Zukunftsvision begeben sich die Künstler in die Vergangenheit, um sich von dort aus das Jahr 2014 vorzustellen. Mit Schulterpolster und Karottenjeans bewegen sich die Darsteller unaufgeregt in der Zukunft der Vergangenheit und begeben sich dadurch in die virtuellen Sphären unserer Gegenwart.Foucault auf der Bühne
Auch wenn pulp.noir die heutige digitalisierte Welt thematisiert, zeigt der Abend mehr noch deren Vorgeschichte, denn durchgehendes Thema ist die Entwicklung der Medien. Von Höhlenmalerei über Notenschrift und Stenographie bis hin zu Polaroidkameras rast die Geschichte auf den Leinwänden vorbei. Ebenso wird die Veränderung der Wissensproduktion aufgezeigt: Im Dschungel werden Köpfe vermessen, im Labor DNA-Strukturen fotografiert und im Studio Verhöre aufgezeichnet. Wenn die gleiche Figur erst die Wettervorhersagen präsentiert, aus einer Glaskugel die Zukunft prophezeit und mit der selben Ernsthaftigkeit ärztliche Diagnosen stellt, dann steht die Frage nach Wissen und Autorität im Raum. Wie können wir bei der Vielzahl von medialen Kanälen zwischen wahr und falsch unterscheiden? Wer bestimmt, welches Wissen richtig ist? Foucault scheint hier unsichtbar mit auf der Bühne zu stehen.Alles ist aufgezeichnet
In einer der stärksten Sequenzen wird die ständige Aufzeichnung unseres Tuns thematisiert. Was auch immer die Darsteller versuchen – ihr bisheriges Leben kann nicht aus der medialen Sphäre gelöscht werden: Sie fressen Papier, verwischen Fussspuren, schreddern Dokumente; es wird gerissen, gelogen, gelöscht. Da alles nichts nützt, treten bald protestierende Figuren auf, die Gesichter versteckt hinter Guy Fawkes-Masken, Pussy Riot-Strümpfen und Arafat-Schälen. Während daraus ein Krieg im Schnelldurchlauf entflammt, erscheint auf dem hintersten Screen bereits die entsprechende Zeitungsmitteilung – der simultanen Dokumentation kann nicht entwichen werden. Entsprechend endet das Stück mit dem beschleunigten Zurückspulen des ganzen Abends.Elektorock und Experimentalmusik
Neben dem visuellen Spektakel und den zahlreichen Anspielungen auf Mythen, Politik und Populärkultur gerät die musikalische Dimension etwas in den Hintergrund – dabei sind alle Darsteller ständig um das präzise Zusammenspiel von Instrumenten, Synthesizer und Geräuschkulisse bemüht. So wird gleichzeitig zur mehrschichtigen thematischen Auseinandersetzung ein Live-Konzert von süffigem Elektrorock und abstrakter Experimentalmusik geboten. pulp.noir beweist damit, dass sich die schier unendlichen Möglichkeiten der digitalen Medienwelt durch hohe Konzentration produktiv nutzen lassen.Tabea Buri
Mit pulp.noir auf der virtuellen Achterbahn
Der Bund, 11.04.2014In der Pause knistern Chipstüten, Kleingeld klimpert, und Wein gluckert – aber nicht nur hinter der Bar im Tojo, sondern auch auf der Bühne. Diese Doppelwirklichkeit ist einer der interessantesten Momente in der Theatersimulation von pulp.noir. Vier Performer erzeugen in “Signal to Noise” eine multimediale Rushhour, in der epochale Videoprojektionen, unverortbare Geräusche, 80er-Jahre-Synthesizer-Musik und sensationsgeile Sprache zum Chor anschwellen.
Hier wird verbildlicht, was der Soziologe Marcel Castell die “informierte Verwirrtheit” nennt, das Schicksal des 21. Jahrhunderts, wo traditionelle Orte zu einem planetaren “Raum der Ströme” werden: Tannenbäume, Fischschwärme, Weihnachtsmänner, Labyrinthe, Planeten, Raketen, Affen, Herrscher, Ratten, Bomben, Feuer, DNA. Star Wars, Sin City, Orpheus und Eurydike und “I did not have a sexual relationship with that woman”. Unterbrochen wird die Achterbahnfahrt im Vergnügungspark des Informationszeitalters einzig von einem Leuchtschild mit der Aufschrift “Try Again”. Bereits vor Beginn des Stücks erwartet einen die Gräuschkulisse einer Spielhalle – und auch der Jackpot wird kommen. pulp.noir erschaffen ein eigenes Netzwerk, in dem alles perfekt getaktet und hochprofessionell inszeniert wird. Doch das Versprechen des Programmhefts, mithilfe von virtuellen Doppelgängern der Performer unsere Durchsichtigkeit in der digitalen Welt darzustellen, wird dabei nicht wirklich eingelöst.
Auch erscheinen manche Referenzen zu angestaubt: Bill Clinton, das Internet-Phänomen “Anonymous” oder Zitate vom Flug Apollo 13 gehören ins 08/15-Archiv der Medienkultur. Dafür treibt die Gruppe rund um Julia Morf und Thomas Fischer die Absurdität unserer bildgewaltigen Gegenwart auf die Spitze. Und dieser Rausch funktionert bestens, nicht zuletzt, weil Atmosphären kreirt werden, die durch den bebenden Boden schnell zum 4d-Erlebis werden und die im Vorfeld verteilte 3D-Brille schnell vergessen lassen.
Ob beabsichtigt oder nicht, als zum Schluss das Licht angeht, erlebt auch das Publikum eine eigene Verdoppelung: Es spiegelt sich in der Projektionsfläche selber.Xymna Engel
Bühne frei
Radio SRF2 Kultur Kompakt, 16.01.2014Ready for Take Off?
Moustache Magazin, 14.04.2014Irren ist menschlich, verwirren ist pulp.noir.
Das System «Mensch» mit Reizen zu überfluten, bis Signal to Noise wird und das Rauschen den Menschen zur tabula rasa zwingt, die Sinnsuche runter zu fahren und den Bordcomputer neu aufzusetzen. Darin sind die Künstler um pulp.noir Experten und blenden in ihrer neusten Darbietung wiederholt den provokativen Schriftzug «try again» ein. Es soll sich niemand zu wichtig nehmen und schon gar keiner den Raum der kreativen Assoziationen verlassen, im Glauben, genau zu wissen, worauf die Performance hinaus will.
Davon lebt das neue Projekt von pulp.noir, Signal to Noise, welches bereits im Januar dieses Jahres im Fabriktheater Zürich seine Premiere feierte. Vergangenes Wochenende wurde nun Bern zur Auseinandersetzung mit dem gläsernen Menschen im virtuellen Raum ins Tojo Theater in der Reitschule geladen.Ein Kunstwerk ohne Anfang und Ende.
Bereits beim Eintreten in den Bar- und Eingangsbereich beginnt die Zeitreise in die Welt der 80er und 70er. Die an den Wänden installierten Computerboxen mit Figuren, wie aus den ersten Science-Fiction-Movies des letzten Jahrhunderts, bieten sich zur Interaktion an. Einige Gäste verfallen dem Spiel, andere drehen abwartend die ausgehändigte 3D-Brille in den Händen, dritte analysieren den für die Aktualität des Themas «unpassenden» Retro-Flyer, alle sind bereits Teil des Werks, jede Altersgruppe scheint vertreten zu sein. Der Vorstellungsraum wird betreten und bis auf den letzten Platz gefüllt. Der Blick auf die Bühne treibt die Verwirrung weiter an, elektronische Instrumente, Verkabelungen und Signalübertragungs-Apparate verleihen ihr den Hauch von Science-Fiction, doch handelt es sich durchgängig um High-Tech aus einer analogen Vergangenheit. Dazwischen tummeln sich die fünf Performance-Künstler in Outfits, als wären sie soeben dem Film «Zurück in die Zukunft» (1985) entsprungen. In diesem Spagat zwischen Retro und Zukunft ist der Betrachter bereits Teil einer Reise durchs Leben 2.0, wo der Unterschied zwischen real und virtuell bald keine Rolle mehr spielt und der Life-Performer, wie ein programmierter Puppenspieler wirkend, über den virtuellen Doppelgänger auf durchsichtigen Leinwänden mit dem Zuschauer kommuniziert.Auch die Grenzen zur Pause werden verwischt, denn die Leinwände reflektieren in sekundenschnelle die Umgebung einer Bar, ein Avatar steht hinter der Theke, die Performer füllen den Raum mit Geräuschen von Flaschen, die geöffnet werden, Gläser die erklingen, Wein der eingeschenkt wird… Der Gast sieht sich aufgefordert, eine Pause zu machen. Nach der Pause werden die Zuschauer zurückgerufen, man wird irgendwie das leicht psychotische Gefühl nicht los, von aussen beeinflusst zu werden. Der Empfindung wird die Krone aufgesetzt, als der Schauspieler und Videodouble, Ralph Tristan Engelmann, die Vor- und Nachnamen einzelner – sich in der Anonymität des Publikums wähnender – Zuschauer solange aufruft, bis diese sich lachend zu erkennen geben.
Einladung in die freie Welt der Assoziationen.
(Leinwand zeigt: Verhörsituation) – who? – when? – where? (Wiederholung in forderndem Ton) – yes (Antwort) – yes – yes – (Steigerung des Tempos) – yes – yes (es wird zum stöhnen) – yes – yes – (Assoziation «Frau kurz vor Orgasmus»?) – (Leinwand zeigt: Clinton vor dem Mikrophon) – «I did not have sexual relations with that woman» … Eine Flut an visuell-auditiven Daten meisterhaft synchronisiert mit live improvisiertem Elektro-Sound produziert eine Unmenge an Assoziationen, welche im Kopf des Betrachters weiterfeuern, ungebremst klinkt sich die Aussenwelt in die Innenwelt, Durchblick, wie Abgrenzung kaum möglich. Die Verlinkung verwandter Inhalte entsprechend dem Surfen im Internet. Ein thematisches Netz entsteht und bietet Raum für Kreativität. Und ganz im Sinne von Keith Johnstone (Improvisationstheater) entsteht Kreativität nur im erwartungsfreien Raum. «Man soll sich nicht durch Vorinformationen einschränken lassen», findet auch Thomas Fischer, Mitbegründer von pulp.noir und Produzent von Signal to Noise. Das wäre der gleiche Freiheitsraub, wie wenn der Betrachter vor dem ersten Blick auf ein Gemälde, erst den Bildbeschrieb links daneben studieren würde.«fast forward» – «access granted»
Die Idee für Signal to Noise bestehe schon lange, doch seit August 2013 seien sie Tag und Nacht, sicher 15 Stunden täglich, nur noch mit diesem Projekt beschäftigt, berichtet Julia Maria Morf, Mitbegründerin von pulp.noir mit Fachbereich Installation und Video. Der Aufwand hat sich gelohnt, das Publikum schwingt begeistert mit. Mit Signal to Noise ist es pulp.noir erneut gelungen an der Grenze zwischen Theater, Kunst und Musik mehr als hautnahes Erleben zu generieren. Die Darbietung loggt sich quasi in unsere Gedankenwelt ein und durchspielt auf humorvolle wie kritische Weise im fast forward den Speicher der Vergangenheit, indem sie sich unsere Fähigkeit zum vernetzten Denken zu Nutze macht. SUCCESS GRANTED!auch publiziert auf: http://sandrarena.wordpress.com/author/sandrarena/
Sandra Hofstetter
Try Again
blog.derbund.ch, 10.04.2014So etwas habe ich noch nie gesehen. Als im Tojo der extra eingebaute Vorhang zwischen Bar und Bühne sich öffnet, bin ich erstmal überwältigt. Dunkel, Schwarz, dazu Neonlicht und Leinwände. Grösse, Design. Ich muss an TRON denken, an Zukunft, an eine SciFi-Version der Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band. Ein dumpfer Beat, stimmige Synthies. Ich bin bereit für den Trip. 3 2 1 lift off.
Doch bevor es richtig los geht, verklingt die Musik wieder. TRY AGAIN leuchtet auf. Ein Spiel soll es wohl werden, ein Suchen. Musikstück folgt auf Musikstück, dazu spricht eine amerikanische Macho-Stimme und erzählt mal distanziert, mal involviert kurze Schnipsel aus unserem kollektiven Gedächtnis. Trailerhaft werden Faust, Orpheus, Sin City, Bill Clinton und weitere Episoden und Zitate aneinander gereiht. Suchen, Probieren ist anders, denn alles ist durchgetaktet, abgesprochen, beinahe mechanisch bewegt sich die Band auf der Bühne. Vieles wird angerissen, nichts vertieft. Irgendwann habe ich begriffen, wie es läuft und warte auf den durch die vielen Anrisse versprochenen Inhalt. Vergeblich. Formschön und aalglatt, fast wie ab Video exerzieren pulp.noir ihre Show durch. Eine Show, die von der Anlage her besser in einen Club als in ein Theater passt.
Dass hier jemand fehlt, die/der für Struktur und Inhalt sorgt, dass Ecken, Kanten und Dramaturgie fehlen, zeigen sowohl peinlich-kitschige pseudoanarchische Gesten, auf die nahtlos Bilder von marschenden Armeen folgen, als auch der Satz, mit dem die einzige Frau der Truppe vorgestellt wird. Sissy Fox ist ihr Künsterinnenname, und sie ist sexy and beautiful. Lost in Aesthetics.Miko Hucko
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Signal to Noise – über Information und Wissen
Eine Theatersimulation von pulp.noirZwar wissen wir bereits seit 1984, dass Big Brother mithört, doch seit Facebook sind wir auch noch durchsichtig geworden. Dafür führen wir jetzt ein Leben 2.0, wo der Unterschied zwischen real und virtuell bald keine Rolle mehr spielt, und rasend kommen weitere Gewissheiten ins Wanken. – Zumindest in der szenischen Anlage setzt sich das Projekt schon mal damit auseinander, indem die live Performer den Raum mit ihren virtuellen Doppelgängern bevölkern und ihr elektronisch angestautes Wissen zu einem bizarr-surrealen Gedankenstrom verlinken.
Performance/Musik Joana Aderi, Ralph Tristan Engelmann, Marius Peyer, Tobias Reber, Christian Rösli
Installation/Video Julia Maria Morf
Sounddesign/Mix Thomas Winkler
Konzept/Realisation Thomas FischerGrafik Roland Hausheer
PR/Werbung Nani Khakshouri
Videoassistenz Kaspar Rechsteiner
Lichttechnik / Bauten Stefan MartiKoproduktion Fabriktheater Rote Fabrik Zürich
Zürich, Fabriktheater, 17. – 25. Januar 2014
Bern, Tojo Theater, 9. – 12. April 2014
Zürich, Zürcher Restspiele, 30. – 31. Mai 2014
Basel, Roxy, 4. – 6. Dezember 2014Unterstützt von
Stadt Zürich Kultur, Fachstelle Kultur Kanton Zürich, Ernst Göhner Stiftung, Familien-Vontobel-Stiftung, Migros Kulturprozent, Kultur Stadt Bern, Kultur Kanton Bern, Schweizerische Interpretenstiftung, Förderverein pulp.noir -
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Signal to Noise – Teil 1
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Eine Theatersimulation von pulp.noirBizarrer Rausch
Züritipp, 16.01.2014Ein süffiger Flug durch die 1990er
Neue Zürcher Zeitung, 20.01.2014Mit pulp.noir unterwegs in die Zukunft von gestern
Tages Anzeiger, 20.01.2014
Das Virtuelle in der Vergangenheit
kulturkritik.ch, 11.04.2014Mit pulp.noir auf der virtuellen Achterbahn
Der Bund, 11.04.2014Bühne frei
Radio SRF2 Kultur Kompakt, 16.01.2014Ready for Take Off?
Moustache Magazin, 14.04.2014Try Again
blog.derbund.ch, 10.04.2014